Sonntag, 18. Oktober 2009

Bewahre Mitgefühl und Freude





Gleichgewicht der Gefühle ist Voraussetzung einer Genesung. Jede Störung oder jedes Defizit in diesem ausbalancierten System kann der Grund dafür sein, dass eine Genesung von der Parkinson-Erkrankung nicht voran schreitet.

Angst, Ärger oder Kummer im Übergewicht - verglichen mit Mitgefühl und Freude - sind Ursache, nicht Wirkung der Parkinson-Erkrankung.

Dein Weg zu diesem Gleichgewicht ist nicht dornig und nicht obskur, aber er erfordert tägliches Üben und unermüdliches Wiederholen selbstverständlich klingender Erkenntnisse.

Freude
Dem Parkinson-Patienten mangelt es an Freude, so dass es zu einem Ungleichgewicht zu Gunsten der negativen Gefühle kommt: Kummer, Angst und Ärger. Der Patient versucht auf seinem Weg zur Genesung sich die notwendige Freude zu verschaffen. Dabei stösst er auf verschiedene Hindernisse, die ihren Ursprung in Missverständnissen oder Missinterpretationen solcher Begriffe haben, die vermeintlich mit dem Erleben von Freude im Zusammenhang stehen. Es sind verzweifelte Versuche, trotz fehlender Voraussetzungen eine Portion Freude zu erhaschen. Der Dalai Lama nennt solche Fehlleistungen "kontraproduktive bzw. qualvolle Gefühle", die nichts mit dem hier gemeinten wahren Gefühl der Freude gemein haben.

Kontraproduktive "Freuden"
Schadenfreude, Freudentaumel, Freudenmädchen, Freudenfeuer - diese "Freudenwelten" haben nichts mit dem zu tun, was im Alten China (Yellow Emperor) oder in den religiösen Werken der Hindus, Taoisten, Buddhisten, Juden, Christen und Muslime mit Freude bezeichnet wird. "Lebensfreude" oder "Frohsinn" sind Begriffe, die eher das treffen, was hier mit Freude bezeichnet ist.

Freude im Sinne dieses Sinnbildes darf nicht mit Vergnügen oder Spaß verwechselt werden. Spaß und Vergnügen bereitet es, wenn die Begierde nach Gewinn, Sexualität oder spielerischer Abwechslung/Zeitvertreib (letzterer als Ausweg aus quälender Langeweile) gestillt wird. Biochemisch ist diese Unterscheidung ganz einfach, wie Dr. Janice Walton-Hadlock im Parkinson Recovery Project nachweist.

Freude - wenn sie empfunden wird - geht einher mit der unwillkürlichen Produktion von Dopamin im Körper.

Vergnügen und Spaß - wenn sie empfunden werden - sind verbunden mit dem unwillkürlichen Ausstoß von Adrenalin im Körper.

Der Mensch ist nicht immer fähig, die Wirkungen von Dopamin und Adrenalin zu unterscheiden. Er sucht eigentlich Freude (Dopamin), findet aber bloß Spaß (Adrenalin). Letzterer lässt einen faden Geschmack zurück. Computerspiel-Süchtige, Sex- und Spielcasino-Süchtige kennen das schale, qualvolle Gefühl nach der Suchtbefriedigung.

Parkinson-Patienten und -Rekonvaleszenten haben einen anderen Erfahrungshintergrund: Durch verzögerten bzw. verringerten Ausstoß körpereigenen Dopamins, verlegen sie ihre Aktivitäten auf anspruchsvolle, oft ihre Kräfte weitaus übersteigende Vorhaben geschäftlicher, politischer, wissenschaftlicher, organisatorischer oder künstlerischer Art. Die übergroße Herausforderung ihres Vorhabens löst dabei - quasi als Daueralarm - einen überhöhten Adrenalin-Schub aus, um ausreichend "Energie" für die Großtat bereit zu stellen. Bevor Parkinson-Patienten erkrankten, waen sie schon Adrenalin-"Junkies".

Das Gleichgewicht der Gefühle wurde dabei zu Gunsten des Kummers verschoben, obwohl der Patient der Ansicht war, mit seinen Aktivitäten Freude auszulösen. Ein verhängnisvoller Irrtum, der von buddhistischen Heiligen als "Illusion", als Ursache menschlichen Unglücksichseins bezeichnet wird.



Mitgefühl

Über das Mitgefühl hat sich der Parkinson-Patient in der Regel zu wenig Gedanken gemacht. Wohlgemerkt: Wir sprechen von seinem Mitgefühl für die Nöte und Realitäten seiner Mitmenschen, und nicht darüber, dass die Mitmenschen des Parkinson-Patienten zu ihm und seinem Schicksalsschlag - gemeint ist die Erkrankung - Mitgefühl aufbringen sollen.

Die schönsten Übungen zum Thema "Mitgefühl" hat der Dalai Lama in seinen Schriften propagiert. Ohne solche Übungen hat es der Parkinson-Patient schwer, den Kern, das Wesen des Mitgefühls klar zu erkennen. Es geht nicht um Mitleid, nicht um Sorge um den Mitmenschen, sondern um ein Gespür seiner Nähe in fast intimer Weise. - Völlig falsch wäre nun aber das Verwechseln von Nähe und Intimität im Verhältnis zu unserem Nachbarn z. B. mit einer erotischen Note. Nähe und Mitgefühl sind hier besser so zu verstehen, wie ein Altenpfleger oder eine Krankenschwester ihren Schützlingen nahe sind und deren Nöte mitfühlen.

Das Bibelwort "Liebe deine Feinde" erhält in diesem Zusammenhang eine leicht nachvollziehbare Begründung:

1. Durch dein Mitgefühl nimmst du auch das Leiden desjenigen wahr, den du zuvor noch als deinen Feind, als "Objekt" deines Hasses gesehen hast.

2. Durch die Tatsache, dass du nur am Beispiel deiner Einstellung zu deinem früheren Feind einüben kannst, was Mitgefühl ist, wird dir dieser ehemalige Feind sehr wertvoll. Du schätzt und liebst ihn sogar eben deswegen. (Dieses Beispiel stammt aus einer Übung des Dalai Lama, die nicht in deutscher Sprache erhältlich ist.)


Angst


Angst ist für jeden Parkinson-Patienten eine grundlegende Erfahrung und ein auf verschiedenen Erfahrungsebenen anzutreffendes Gefühl. In vielen Fällen ist die erlebte Angst kein Symptom der Parkinson-Erkrankung, sondern vielmehr eine unerwünschte Wirkung eines Medikaments. Hier ist besonders auf das Standardmedikament Levodopa (L-Dopa) zu verweisen, dessen Wirkungen auf die Psyche ja auch ausführlich im Beipackzettel aufgezählt sind. Angst ist dann ein "normales" Symptom einer Psychose in Folge der Tablettensucht des Patienten (vgl. Once Upon a Pill)..

Auf ihrem Weg zur Genesung unterziehen sich Parkinson-Patienten oft psychotherapeutischen Behandlungen. Da bleiben Gefühle der Angst nicht aus, wenn der Therapeut versteckte Ängste, verschüttetes und verdrängtes Leid frei legt. Solcher Art Ängste können nur schrittweise abgebaut werden. Sehr hilfreich ist dabei die von Dr. Janice-Walton-Hadlock empfohlene Übung "Hand auf's Herz", die im nachstehenden Posting beschrieben ist.

Angst vor dir selbst

Wenn alle Levodopa-haltigen Medikamente "ausschleichend" abgesetzt sind und wenn der Parkinson-Patient seine psychischen Altlasten gut aufgearbeitet hat, verbleibt immer noch eine wesentliche Angst: die Angst des genesenden Selbst vor dem rückfällig werdenden Ego. Vgl. auch Parkinson Recovery Project. Dieser Fragenkomplex wird in einem späteren Posting behandelt. Parkinson-Patienten, die die englische Sprache beherrschen, können zu diesem Thema unter dem Stichwort "dissociation" selbst im Werk Dr. Janice Walton-Hadlocks auf der angegebenen URL nachlesen. Das Gesamtwerk von mehr als 1.000 Seiten kann dort unentgeltlich herunter geladen werden. Wohlgemerkt: Dieser Blog Parkinson-Coaching kann nicht einmal 1/1.000 der dort dargestellte Erkenntnisse wieder geben! Aber es gibt eben keine deutsche Übersetzung.

Ärger

Die Bedeutung der psychischen Stimmungslage Ärger wird gemeinhin vollkommen unterschätzt. Der sich Ärgernde geht davon aus, dass sein Ärger ja ohnehin seine private Angelegenheit sei. Und da habe ihm so lange niemand herein zu reden, wie er diesen seinen Ärger brav herunter schlucke und nicht in erkennbare Agressionen ausarten lasse.

Die traditionellen indischen und chinesischen Lebenswissenschaftler (Ayurveda und TCM) wissen es seit mehr als 3.000 Jahren besser: Ärger und damit verbundene Agressionen, wie z. B. Verachtung, das "Herz als Mördergrube", nicht gehaltene Schmähreden oder Bloßstellungen, haben auf das Gehirn und den Metabolismus des sich Ärgernden fast die selben Wirkungen wie etwa begangene Taten oder real gebrüllte Schmähungen. Eigentlich sind die versteckten Agressionen noch tief greifender als die geäußerten, denn sie dauern länger an.

Wenn in dem oben gezeigten Sinnbild vom Gleichgewicht der Gefühle von Ärger die Rede ist, dann sind in dem Begriff auch die nahen Verwandten des Ärgers einbezogen, der Groll und der Hader. Groll und Hader unterscheiden sich vielleicht im Intensitätsgrad und in der Dauer ihrer Wirksamkeit. Groll kommt eher kurzfristg auf, Groll legt sich. Hader wirkt langfristig, gilt als unüberbrückbar.

Hader

Hadernde, zu denen Parkinson-Patienten fast ausnahmslos zählen, wähnen sich im Recht. Sie meinen zu wissen, dass sie befugt sind, ihrer Zielperson des Haderns k e i n e Chance mehr einräumen zu müssen. Der als solcher betrachtete Delinquent wird innerlich abgeurteilt, der Hadernde betoniert sein Feindbild. Die Selbstdisziplin des Hadernden verschafft ihm das Gefühl, dass niemand bemerkt, wie es in seinem Inneren aussieht, und er meint somit, seinen Hader hegen und pflegen zu können, ohne auffällig zu werden.

Der hadernde Patient verkennt, dass die Menschen in seinem Umkreis und insbesondere das Subjekt seines Haders durchaus und sehr real spüren, dass etwas in den zwischenmenschlichen Beziehungen unstimmig ist. Gewöhnlich ziehen sich die Menschen dann vom Hadernden zurück, da im Umgang mit demselben partout keine Freude aufkommt.

Das Nervensystem, das jenes Versteckspiel des Hadernden nicht erkennt, stellt lediglich fest, dass der Hadernde offensichtlich von Feinden umzingelt ist (so reagiert es mit Angst) und dass sich die Mitmenschen vom Hadernden mehr und mehr zurück ziehen (so reagiert das Nervensstem mit dem Gefühl der Vereinsamung, mit Kummer) .

Kummer

Das Wort Kummer geht nach der Wortbedeutungslehre zurück auf das mittelhochdeutsche kumber, das so viel bedeutete wie "seelische Belastung". Dies trifft den Kern, denn auch das, was in der Gefühlswelt als Kummer in Erscheinung tritt, kann auf unterschiedlichste Ursachen und Phänomene zurückgeführt werden. Die Bandbreite der seelischen Belastungen und Leiden reicht vom schlechten Gewissen wegen einer eigenen Missetat, den Sorgen wegen einer bestürzenden Erkrankung eines Kindes bis hin zu quälender Erinnerung an die körperliche Mißhandlung durch den eigenen Vater. Die Liste solcher Belastungen grenzt an unendlich - jeder Mensch hat ein anderes, nämlich sein Päckchen zu tragen.

Der Parkinson-Patient hat in dieser "Lotterie des Schicksals" nicht per se eine Niete gezogen; seine Konditionierung ist jedoch derart, dass die Summe seiner seelischen oder auch körperlichen Belastungen derart unerträglich erscheint, dass ihre Verdrängung erfolgt. Genauer und korrekter wird dieser Vorgang im Parkinson Recovery Project dargelegt. Der Vorgang geschieht unwillkürlich, und nicht wissentlich. Das Ergebnis heisst (im Englischen) dissociation, was im Deutschen so viel bedeutet wie Distanzierung von sich selbst. In einem spätern Posting wird hierzu Näheres ausgeführt.

Fazit: Kummer hat beim Parkinson-Patienten zu einer Belastung geführt, die ihn zu überfordern schien. Das oben gezeigte Sinnbild weist den Ausweg: Freude zügelt Kummer. Somit sind wir im ausbalancierten "Kreislauf" der Gefühle wieder am Ausgangspunkt angelangt und haben die Aufgabe, dem Parkinson-Patienten den Weg zu erhöhter Lebensfreude zu zeigen, wenn er die Chance seiner Genesung nicht verpassen will.



Gefühle im Gleichgewicht

Was bedeuten die Pfeile und ihre Richtungen im obigen Sinnbild?

Die Pfeile zeigen an, welches Gefühl ein anderes zügelt, d. h. kontrolliert, d. h. abbremst, sobald dieses übermächtig wird. Da im Buch des Yellow Emperor (Gelber Kaiser) davon ausgegangen wird, dass jedes der Gefühle - einem Reitpferd gleich - einen Jockey hat, der es zügelt, sobald es fort geloppieren möchte, ist stets ein Gleichgewicht möglich und auf längere Sicht auch gesichert. - Doch der Parkinson-Paient ist bei diesem Zustand des Gleichgewichts noch nicht angekommen...


Quellen:
Devendra Vora: Health in Your Hands, 26. Auflage, Mumbai

Zhu Ming (Übersetzer): The Medical Classic of the the Yellow Emperor, Beijing 2001, Seite 17
Ilza Veith (Übersetzerin): The Yellow Emperor's Classic of Internal Medicine, Berkeley 1970, S. 95
Vgl. auch Übungsempfehlungen des Parkinson-Genesung-Projektes (Parkinson Recovery Program)

Dalai Lama: How To See Yourself As You Really Are, A Practical Guide to Self Knowledge, 2006

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